Schlagzeilen:Der Heilige von Nordhalben
Nordhalben: Pfarrer Johannes Grandinger war vor über 100 Jahren die liberalkatholische Sensationsfigur, bayerischer Landtagsabgeordneter und eben Pfarrer in Nordhalben. Im Zuge eines Erwachsenenbildungsabends der KAB referierte der Buchautor Dr. Elmar Kerner über den „Weißen Raben“ in seiner ehemaligen Wirkungsgemeinde. Der Lebensweg Grandingers begann zunächst eher unspektakulär. Er wurde 1869 in Nürnberg geboren und verbrachte in der stark industriell geprägten Großstadt seine ersten 15. Lebensjahre. Beeinflusst, wahrscheinlich geprägt, dürfte den jungen Knaben auch die Diasporasituation in Nürnberg haben. Nach dem Abitur in Bamberg trat Grandinger im Herbst 1887 in das Priesterseminar ein, vier Jahre später wurde er zum Priester geweiht. Bereits als Kaplan entpuppte er sich an verschiedenen Orten als rhetorisch wie journalistisch Kleriker. Dieses Potenzial kam ihm, wie sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und seine bisweilen schon an Sturheit grenzende Prinzipientreue sehr zugute. Auch als er 1893 mit dem „St. Heinrichsblatt“ eine katholische Wochenschrift ins Leben rief und trotz großer Anfeindungen etablierte. Nach 13. Jahren als „Bergpfarrer“ in der fränkischen Schweiz wurde ihn klar, dass ihn diese kleine Pfarrstelle in Elbersberg nicht wirklich forderte und ausfüllte. Er musste auch erkennen, dass ihm das parteipolitische Korsett des Zentrums sowie die dazugehörigen vorgegebenen Denkstrukturen zu eng geworden waren. Im Jahr 1900 bewarb er sich um die in Nordhalben frei gewordene Stelle die ihn noch im gleichen Jahr verliehen wurde. Damals hatte Nordhalben 1.700 Katholiken und ein sehr reges Vereinsleben. Aber Pfarrer Grandinger stieß auch gleich zu Beginn seiner Tätigkeit auf zahlreiche Missstände. Nicht immer gelang es dabei Grandinger, vorhandene Unsitten zu bekämpfen, ohne dabei auf den Wiederstand der Bevölkerung zu stoßen: Das Fronleichnamsfest, das in Nordhalben an zwei Tagen mit drei Prozessionen begannen wurde, war der unbestrittene festliche Höhepunkt des ganzen Jahres. Katholiken, aber auch neugierige Protestanten aus den Nachbarortschaften bevölkerten die festlich geschmückten Straßen. Auch an Fronleichnam spielten die zahlreichen Ortsvereine eine zentrale Rolle. Fronleichnam wurde in Nordhalben zu dieser Zeit a la Fahnenweihe gefeiert: Während der Prozession von Altar zu Altar wurden Melodien wie „Mein Herz, das ist ein Bienenhaus“ oder Polonaisen im Ala-Breve-Takt gegrölt. An den Altären „schifften“ die Herren Vereinsmitglied ungeniert das schon früh genossene Bier hinter den nahegelegenen Häusern und Hofraithen. Grandinger war auch konsequent und berichtete dem erzbischöflichen Ordinariat von den Missständen, welches daraufhin die Unsitten verbot. Johannes Grandinger ging es als Pfarrer von Nordhalben nicht allein um einen ordentlichen und würdigen Ablauf von Kirchenfeiern und um die Instandhaltung der Pfarrgebäude. Bei aller Korrektheit und Ordnungsliebe stand für ihn als Seelsorger das Wohl der Menschen im Vordergrund. Dieser Wesenszug Grandingers trat immer deutlicher hervor, je länger er in Nordhalben tätig war; vermutlich ist dies auch der entscheidende Beweggrund gewesen, sich sozial zu engagieren und letztendlich in die Politik zu gehen. Zunächst sah er die Not der Menschen im Frankenwald und übernahm bereits kurz nach seinen Amtsantritt den Vorsitz des „Arbeiter-Beschäftigungs-Komitee“. Er war bemüht Firmen anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Zigarrenmacherei konnte aufgrund einer von ihn verfassten Resolution um höhere Tabaksteuern erhalten werden. Auch für Frauen sah der Vordenker Grandinger mit der Einführung der Spitzenklöppelei eine Möglichkeit des Broterwerbs. Wenig später wurde die bis vor wenigen Monaten noch existierende Klöppelschule als Fachschule anerkannt. Im Jahr 1907 wurde, wenige Monate vor der Landtagswahl, in Nordhalben eine „Liberale Vereinigung Nordhalben und Umgebung“ ins Leben gerufen. Bei der Nominierungsversammlung schlugen die Nordhalbener ihren Pfarrer Johannes Grandinger für den neu gegründeten Wahlkreis Naila vor. Grandinger war aber bei der Versammlung nicht anwesend, so dass man an diesen Abend nicht mehr abstimmte. Alleine seine Bereitschaft sich für die Liberalen als Kandidat zur Verfügung zu stellen, löste im katholischen Lager einen Schrei der Empörung aus. Sein von ihn mitbegründetes „St. Heinrichsblatt“ schieb als sensationelle Neuigkeit: „Ein katholischer Pfarrer als liberaler Landtagskandidat“. Bei aller Abneigung gegen Pfarrer Grandinger musste allerdings selbst das „St. Heinrichsblatt“ anerkennen, dass sich der „Heilige von Nordhalben“ wie es Grandinger spöttelnd bezeichnete, große Verdienste, insbesondere durch die Förderung des Gewerbes erworben hatte. Nach großen Auseinandersetzungen und den zwischenzeitlich angekündigten Verzicht Grandingers auf eine Kandidatur wurde er aber rund vier Wochen später in Naila einstimmig nominiert. Zum ersten Mal kandidierte im Deutschen Reich ein katholischer Geistlicher für die Liberalen. Auch der zwischenzeitlich eingeschaltete Erzbischof Abert konnte die Kandidatur nicht verhindern. Grandinger präsentierte sich bei seinen anschließenden Wahlkampf als „Heimatkandidat“, dem in erster Linie das Wohl des Frankenwaldes am Herzen liege. Er setzte sich bei der Wahl gegen zwei weitere Kandidaten durch. In Nordhalben kam er auf 96,7 Prozent der Stimmen, insgesamt erreichte er 59,2 Prozent. Wie Elmar Kerner deutlich ausführte sei die Wahlpropaganda in Nordhalben bei reichlich Bier sehr effizient und mit eher unkonventionellen Mitteln durchgeführt worden. Pfarrer Grandinger hat sich nach der Wahl an die Vorgaben seines Bischofs gehalten und trat nicht der Liberalen Fraktion bei, sondern er war der einzige von 163 Abgeordneten der keiner Fraktion angehörte. Grandingers Hauptanliegen im Rahmen seiner parlamentarischen Arbeit war es die Belange des Frankenwaldes in München zur Sprache zu bringen. Er wurde Fürsprecher für Forst- und Holzarbeiter und gründete einen eigenen Berufsverband der Forstwirte. Nach der vorzeitigen Auflösung des Bayerischen Landtags im Jahr 1911 zog sich Grandinger aus dem Landespolitik zurück. Zwei Jahre später verließ er Nordhalben und übernahm die Pfarrei Buttenheim bei Bamberg. Manfred Köstner dankte dem Referenten im Namen der KAB für eine kurzweilige Vorstellung über Johannes Grandinger mit einem Geschenk. Dr. Elmar Kerner erhielt nach seiner 90-minütigen Rede viel Applaus der rund 50 Besucher. Er referierte über Pfarrer Johannes Grandinger der sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im Frankenwald eingesetzt hat. Foto: Michael Wunder |