Nordhalben: Nach Jahren der Recherche und des Schreibens ist es nunmehr in der Festwoche des 850- jährigen Gemeindejubiläums soweit. Die in dieser Form erste Nordhalbener Ortschronik mit dem Titel "Grenzerfahrungen 1154 – 2004" wird präsentiert. Die Autoren Horst (Schulleiter in Nordhalben) und Harald Wunder (Akadem. Oberrat, Reutlingen) haben in unzähliger Kleinarbeit die Geschichte in den verschiedensten Archiven und historischen Quellen nachgeforscht und zu Papier gebracht.
– von Michael Wunder –
"Amor patriae dat animum" – die Liebe zur Heimat gab uns den Mut, mit diesen Worten endet das vierseitige Vorwort des umfangreichen Werkes. Betrachtet man das 520 Seiten umfassende Buch einmal näher, so muss man feststellen, dass es eine "große Liebe" zur Heimat ist. Bis ins Detail wurden die wichtigsten Ereignisse aus der Nordhalbener Geschichte zusammengestellt.
Die Geschichte von Nordhalben wurde schon in mehreren Abhandlungen bearbeitet, punktuell oder in Zeitabschnitten, meist aber in größerem Zusammenhang. Erwähnt sei hier zunächst die kleine Festschrift "Nordhalben 800 Jahre (1154 – 1954)", für die Hans Silbermann Materialien, die zeitbedingt nur teilweise ausgearbeitet waren, als eine Art noch unfertiger Chronik zur Verfügung gestellt hatte. Insbesondere aber ist hinzuweisen auf die überaus gründliche und auf meist unveröffentlichten Quellen beruhende Arbeit von Helmut Demattio über den "Altlandkreis Kronach" (1998), die außer vielen Einzelhinweisen auch ein besonderes Kapitel über "Condominat und Amt Nordhalben" enthält. Das vorliegende Buch ist aber im Kern aus einer Wissenschaftlichen Zulassungsarbeit "Die geschichtliche Entwicklung Nordhalbens" hervorgegangen, die einer der Autoren, Horst Wunder, bereits 1963 zum Staatsexamen für das Lehramt an der damaligen Pädagogischen Hochschule Bamberg eingereicht hatte. Darin waren bereits viele wichtige Quellen zur Nordhalbener Geschichte zusammengestellt und bearbeitet worden. Die Verfasser haben sich vorgenommen, eine Chronik von Nordhalben so zu schreiben, dass sie auch ein interessierter Laie verstehen kann. Andererseits sollte aber dort, wo eine sorgfältige Interpretation der teilweise schwierigen Quellen notwendig ist, auch die wissenschaftliche Gründlichkeit zu ihrem Recht kommen. Es galt also durchgehend auf einem recht schmalen Grat zu balancieren. Bisher fehlte eine einigermaßen durchgängige Zusammenstellung der wichtigsten Ereignisse aus der Nordhalbener Geschichte. Es wurde versucht, diese Lücke mit dem vorliegenden Band zu schließen, soweit dies bei der derzeitigen Quellenlage möglich war. Die Themen und Ereignisse, die es vorzustellen galt, sind äußerst vielgestaltig. Grundlage jeder Erforschung der Geschichte sind historische Quellen. Über die Geschichte Nordhalbens sind eine Anzahl von Geschichten im Umlauf, für die bisher jeder Quellenbeweis fehlte. Die Autoren haben sich daher zur besonderen Aufgabe gemacht, die Quellen zur Geschichte von Burg und Gemeinde, Pfarrei und Amt Nordhalben bis zur Mitte des 16. Jh. (Heimfall an Bamberg 1550) möglichst lückenlos zu erfassen und für die Zeit bis zur Mitte des 19. Jh. (Brand von 1856) wenigstens die Hauptquellen. Die Archivalien Lobensteiner und Geraer Herkunft, welche im Archiv Schleiz aufbewahrt wurden und für die Zeit des Condominats (1354 – 1550 bzw. 1564) auch Nachrichten über Nordhalben enthalten haben, im April 1945 durch Kriegseinwirkung verbrannt, bedauerten die Schriftsteller. So musste sich die Quellensuche vor allem auf die Archive in Bamberg konzentrieren. Für die Zeit zwischen 1875 und 1938 konnten Nordhalben betreffende Nachrichten auf dem Hofer Anzeiger verwendet werden. Der jüngere zeitgeschichtlich Teil wurde größtenteils anhand von Zeitungsberichten über Lokalereignisse erarbeitet und genaue Daten festgestellt welche durch Quellennachweise gesichert wurden. Angehängt wurde ein Kapitel zum Talsperrenbau aus einer Facharbeit von Harald Wunder jun. Bereits im Vorfeld dankten die beiden Verfasser einer Reihe von Helfern für die gewährte Unterstützung, ebenso dem Gemeinderat der sich in dieser schwierigen Zeit für den Druck dieses Buches entschlossen hat. Die neue Nordhalbener Chronik ist im Jubiläumsjahr zum Sonderpreis von 29,80 Euro in der Gemeinde Nordhalben oder unserer Geschäftsstelle zu erwerben. mw
Grenzerfahrungen, die Geschichte Nordhalbens in Kurzform
Bei der Beschäftigung mit der Geschichte von Nordhalben wird alsbald deutlich, dass das Schicksal des Ortes und seiner Bewohner seit seinen Anfängen sehr wesentlich durch die Lage an der Grenze bestimmt worden ist. Die Burg Nordhalben wurde in der Mitte des 12. Jh. von den Bischöfen von Bamberg im Nortwald errichtet, um hier an der Bamberger Hochstiftsgrenze Besitz und Interessen des Hochstifts zu wahren. Bei dieser exponierten Lage weckte die Burg mit dem zugehörigen Burgbezirk zu Anfang des 14. Jh. die Begehrlichkeit der angrenzenden Herren, der Vögte von Gera im Norden und der Grafen von Orlamünde im Osten, denen die Bamberger Fürstbischöfe schließlich erhebliche Zugeständnisse machen mussten. So kam der Teil östlich der Rodach mit Heinersberg an die Orlamünder und hatte fortan eine eigene Geschichte.
Bamberg und Gera aber ließen um Nordhalben ein kleines Gebiet abstecken, das sie in gemeinschaftlicher Herrschaft von 1354 – 1550 verwalteten, wobei seit 1404 alle drei Jahre die Herrschaft wechselte. Das Condominat Nordhalben schaukelte also auf der Grenze hin und her und hatte somit enge Bindungen sowohl zu Kronach wie zu Lobenstein, zu Bamberg wie zu Gera. So wurde 1543 von Lobenstein und Sachsen aus auch der Versuch gemacht, in Nordhalben die Reformation einzuführen, der allerdings letztlich scheiterte, weil 1550 die Herren von Gera ausstarben und Nordhalben ganz an das katholische Hochstift Bamberg fiel.
Der zwei Jahrhunderte währende Sonderstatus als Condominat war wohl die Ursache dafür, dass das Hochstift auch weiterhin das kleine Gebiet von Nordhalben als eigenes Vogteiamt mit weitgehender Selbständigkeit beibehielt. Die Grenze zu Gera- Lobenstein, bisher auch schon Sprachgrenze, wurde nun zur endgültigen Landesgrenze und wie jene zum Waldenfelser Amt Lichtenberg (mit Heinersberg) auch zur Konfessionsgrenze. Als solche wurde sie im Dreißigjährigen Krieg überdeutlich spürbar als Grenze zwischen den beiden damaligen Machtblöcken, der katholischen Liga und der protestantischen Union, und sie spielte auch eine Rolle bei der Auswanderung Nordhalbener Lutheraner, die sich jenseits der Konfessionsgrenze auf dem nahen Titschenberg niederließen. Bald nach dem Anschluss des Hochstifts Bamberg an Bayern 1802/03 nutzte schließlich Napoleon 1806 die Grenzlage von Nordhalben. Er begann einen Krieg gegen Preußen, indem er von hier aus das Zentrum seiner Grande Armée in die reußischen Fürstentümer Lobenstein und Ebersdorf einmarschieren ließ.
Von ganz besonderer Art aber waren zweifellos die Grenzerfahrungen im 20. Jh. in der Zeit des Eisernen Vorhangs. Jedem Nordhalbener Einwohner von damals ist erinnerlich, was es bedeutete, an einer solchen Grenze zu leben. Man hatte den Nachbarort täglich vor Augen, und doch war man völlig abgeschnitten von dessen Welt und dessen Menschen. Der Gedanke, man könne eines Tages nach einem Spaziergang von weniger als einer Stunde Titschendorf besuchen, schien schließlich so fern jeder Möglichkeit der Verwirklichung, dass er eigentlich schon gar nicht mehr gedacht wurde. Die kleine Nordhalbener Welt stieß im Norden und Nordosten an eine Grenze, daher orientierte man sich vornehmlich in Richtung Süden, und in diese Richtung orientierte sich auch die Mobilität.
So haben die Bewohner der unmittelbar am Eisernen Vorhang gelegenen Orte wie Nordhalben und Heinersberg nach 1945 ihre ganz besonderen Grenzerfahrungen machen müssen. Die Grenzlage hatte ja tiefe Auswirkungen auf verwandtschaftliche Beziehungen und menschliche Kontakte, auf Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen wie auf das Schicksal jedes einzelnen, auf die Möglichkeiten der Ausbildung, Berufswahl und Arbeitsplatz. Viele gerade junge Leute waren gezwungen, sich anderwärts ihr Leben einzurichten, und wanderten ab. Die Entwicklung der Einwohnerzahlen spricht eine deutliche Sprache.
Als dann wider alle Erwartungen das schier Unvorstellbare eintrat und 1989/90 erst die Grenze geöffnet wurde und dann die Wiedervereinigung kam, da schlug über die Orte an der Grenze die neue Realität wie eine Riesenwoge herein. Man musste sich, auf beiden Seiten erst an die total geänderten Verhältnisse gewöhnen. So haben die Einwohner von Nordhalben und Heinersberg auch im übertragenen Sinne Grenzerfahrungen bewältigen müssen, mussten sie sich doch wegen der Lage an der Grenze immer wieder Anforderungen und Herausforderungen im Alltagsleben stellen, die den mehr im Landesinneren Lebenden erspart geblieben sind. Schließlich sei auch daran erinnert, wie hart einst das Leben im Frankenwald gewesen ist und unter welch ungünstigen äußeren Verhältnissen die Menschen sich hier in den vergangenen Jahrhunderten ihr tägliches Brot erarbeiten mussten. So erscheint für eine Geschichte von Nordhalben der Titel "Grenzerfahrungen" in doppeltem Sinne des Wortes als zutreffend. mw
Nach umfangreicher Recherche in verschiedenen Archiven erfolgte die Umsetzung in Reutlingen und Nordhalben. Unzählige Stunden, meist bis spät in die Nacht, verbrachten die Brüder Harald (links) und Horst Wunder bis das Werk "Druckreif" war. Foto: Michael Wunder