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Ganze Familien ausgestorben

Nordhalben: Heute genau vor 75 Jahren war Nordhalben Ziel des Artillerie-Beschusses. Einen Tag vorher hatte man an den drei Ortseingängen Panzersperren errichtet.

In der Nachbargemeinde Tschirn hatte man an diesen Tag bereits einige Häuser mit Panzern in Brand geschossen. Auf Nordhalben wurden insbesondere auf die Zufahrtsstraßen Warnschüsse abgegeben. Daraufhin verließ ein Teil der Bevölkerung den Ort und zog sich in die nahe gelegenen Wälder zurück. Die Amerikaner, deren Beobachtungsflugzeug ständig über den Ort kreiste, erwarteten offensichtlich das Hissen der weißen Flagge. Da dies nicht erfolgte, begannen die Panzer am nächsten Tag (den heutigen 14. April) gegen 9 Uhr mit dem Direktbeschuss des Ortes. Zwar befanden sich hier nur noch wenige deutsche Soldaten, und an eine Verteidigung war gar nicht gedacht worden, aber die Amerikaner hatten natürlich schon längst die Panzersperren entdeckt und wollten offenbar keinerlei Risiko eingehen. Nach etwa einstündigem Beschuss – 56 Schüsse sollen in dieser Zeit auf den Ort abgegeben worden sein – wagte es endlich eine Gruppe von beherzten Männern, geführt von einem Deutsch-Amerikaner (Schlossers Paul), den amerikanischen Panzern mit einer weißen Fahne entgegenzugehen. Damit wurde zwar weiteres Unheil verhütet, aber der Ort hatte schon schwer genug gelitten: der Tod hatte seien Opfer gefunden und aus manchen Haus schlugen die Flammen bereits hell gegen den Himmel. Durch einen Volltreffer in das Haus Fichteraweg 23 kamen allein elf Menschen um. Der Beschuss an diesem Samstagvormittag forderte 13 Menschenleben, etwa 20 Häuser brannten ab oder waren schwer beschädigt, viele andere wiesen leichtere Schäden auf, darunter auch die Pfarrkirche, deren Turm anscheinend als Zielpunkt gedient hatte, denn in ihrer Nähe gab es die meisten Granateinschläge.

Bei einer KAB Veranstaltung vor fünf Jahren berichtete der damals fünfjährige Georg Simon als Zeitzeuge von seinen Erinnerungen: Viele Männer aus der Gemeinde waren damals mit unsicherem Aufenthalt eingezogen worden. Über Jahre verrichteten sie Dienste, ohne dass man zu Hause wusste wo sie gerade seien. Sind Soldaten gefallen, habe die Gemeinde eine Nachricht erhalten, von dort wurde die Mitteilung an die Familien weiter getragen. „Es hat schon vorher rumort, von einer heilen Welt waren wir weit entfernt, sagte Georg Simon damals. Am Weißen Sonntag, es war der 8. April, haben nicht einmal die Glocken geläutet. Zwei Tag später sei ein Soldat zum Tode verurteilt worden. Das Standgericht Helm habe unter Anwesenheit des örtlichen Pfarrers Fiedler die Hinrichtung bei der Fichtera durchführen lassen. In den folgenden Tagen seien auch Warnschüsse abgegeben worden. Die Amis seien dann über Wilhelmsthal und Tschirn nach Nordhalben vorgestoßen. „Panzersperren“ in Form von gefällten Bäumen stellten überhaupt kein Hindernis dar. Am Samstag gegen halb zehn Uhr begann dann der Beschuss auf den Kernbereich von Nordhalben. Binnen kürzester Zeit, die Bombardierung dauerte rund eine Stunde, standen verschiedene Gebäude in Flammen. „Wir haben uns im Keller unserer ehemaligen Werkstatt versteckt, da fühlten wir uns am sichersten“, erinnert sich Georg Simon. Dass dies nicht so war, musste man kurze Zeit später feststellen, ein Granatsplitter hatte seinen dreijährigen Bruder in den Armen seiner Mutter am Kopf getroffen und getötet. Insgesamt hat der Zweite Weltkrieg Nordhalben schwere Opfer gekostet. Der Ort hat neben diesen Toten noch 115 Gefallene und 74 Vermisste zu beklagen.

Der Nordhalbener Chronik von Horst und Harald Wunder aus dem Jahr 2004 ist der folgende Brief zu entnehmen.

Oberinspektor Heinrich Peetz schilderte als Zeitzeuge in einem Brief an seine beiden Töchter Hedwig und Elsbeth sowie an zwei weitere Verwandte eindrucksvoll die Geschehnisse des 14. April 1945 in den er schrieb:

„Ich will Euch nun von uns hier in Nordhalben erzählten. Ihr seid doch sicher in Sorge um uns so wie wir uns um Euch sorgen. Vielleicht findet sich doch bald Gelegenheit, meinen Brief an den Mann zu bringen. Dass es uns noch gut geht, merkt ihr ja, sonst könnte ich ja nicht schreiben. Also, heute vor 14 Tagen (der Brief wurde demnach am 28. April verfasst) kamen die Amerikaner. Am Freitagabend sind schon ein paar Schuss herübergegangen aus Richtung Tschirn, das sie schon am Freitag besetzt hatten. Die gingen aber außerhalb des Ortes. Am Samstag gegen 10 Uhr ging die Beschießung los. Gleich die ersten Schüsse mitten in den Ort. Das dauerte über eine Stunde. Etwa 80 Schüsse werden es gewesen sein, eher mehr als weniger. Wir gingen gleich in unserem Keller, in dem wir alle Koffer, die bei uns liegen, Bettwäsche usw. gebracht hatten Da waren wir ja ziemlich sicher. Der Keller ist gut. Ein Treffer ging vor die Kellertür und hat die Post beschädigt, die Küche und das darüber liegende Zimmer. Vier Einschläge lagen gleich hinter unserem Garten im Garten von Fräulein Schneider, auch bei unserem Keller, vier gingen in den Garten von Dr. Weinbuch, einer auf die Straße zwischen Trüh und Beierkuhnlein. Bei Lautenschläger ging ein Volltreffer ins Haus, uns gegenüber ins Haus, wo die Dietzen wohnen, ist aber im ersten Stock krepiert und hat zwei Zimmer beschädigt. Das Haus von Loni-Hans wurde durch einen Treffer schwer beschädigt, unten beim Pfannenflicker das Haus und das daneben, die Kirche wurde getroffen, die Klöppelschule schwer beschädigt, das Haus neben Eisentraut. Büttners-Klein auch getroffen. Das Haus vom Postboten Wolf hinter der Kirche ist völlig ausgebrannt, die Scheune gegenüber, daneben noch eine Scheune. Lotzen-Wagner die Scheune und ein Teil des Hauses ausgebrannt und teilweise zerstört, in der Langgasse beim Metzger Pötzinger ein Treffer ins Haus und verschiedene mehr oder weniger. Das Bedauerlichste ist, dass wir 13 Tote hatten. Häusles-Heiner (Wunder), die Tochter war beim Pensel im Kontor, hat beim Löschen mitgeholfen und fiel tot um, durch Herzschlag. Er war ein sehr anständiger, netter Mensch, 48 Jahre alt. Der kleine Sohn vom Flaschners Andres, 4 Jahre, erhielt einen Granatsplitter, als die Mutter mit ihm in den Keller wollte, und war sofort tot. Am schlimmsten war es bei der Thomeles-Kathi, da standen viele Leute im Kellereingang, ein richtiger Keller war es gar nicht. Eine Granate ging durch das Haus und tötete elf Mann: Die Thomeles Kathi, ihre Tochter Hilde (DRK-Schwester Helferin) und die beiden 14-jährigen Zwillinge Heinrich und Helmut, also die ganze Familie, eine Frau Dietz (Kunigunda) mit ihren 10-jährigen Kind, der Mann ist im amerikanischen Gefangenschaft. Zwei Kinder sind mit dem Leben davongekommen. Dann eine Frau Scheider (Kunigunda) mit ihren beiden Töchtern. Die eine war 21 und die andere 16 Jahre. Die ältere war Kindergartenleiterin. Der Mann war in der Nähe von Mähr. Weißkirchen als Soldat. Nun ist seien ganze Familie tot. Und dann eine junge 22-jährige Frau aus Hamburg (Antje Wulff) mit ihrem 1-jährigen Kind. Der Mann ist auch Soldat. Sie wohnten neben uns bei Fräulein Schneider. Das ist doch furchtbar. Ganze Familien ausgestorben. Am Furchtbarsten für die Männer, wenn sie es erfahren. Es hätte ja noch viel mehr Tote geben können. Das ist aber für die Hinterbliebenen kein Trost. Dann kamen die Amerikaner. Von Tschirn herüber. Wir dachten alle, sie kämen von Kronach her. Ich glaube es waren so etwa 50 Panzer. Sie blieben dann bis etwa 5 Uhr hier und fuhren dann weiter in Richtung Dürrenwaid – Bad Steben. Ein kleiner Teil blieb hier, aber am Montag fuhren auch die wieder ab, es blieb nur ein kleiner Posten von 8 – 10 Mann da, dann verließen auch diese Nordhalben und es kommen immer nur einzelne Posten durch die Kontrolle. Man muss sagen, die Amerikaner haben sich alle sehr anständig genommen. Niemanden wurde ein Haar gekrümmt. Sie sind sehr höflich und auch entgegenkommend, soweit es ihre Vorschriften halt zulassen. Das hab ich vergessen, Fräulein Dauer (Georgine), die in der Zigarettenfabrik im Kontor ist, hat durch Granatsplitter einen Unterarm verloren. Die haben die Amerikaner mit Sanitätsauto gleich mitgenommen in ein Lazarett oder Krankenhaus. Jetzt dürfen wir schon wieder von 8 bis 10 Uhr und Nachmittag von 4 bis 6 Uhr innerhalb des Ortes ausgehen. Die Bauern dürfen von früh 6 Uhr bis abends 8 Uhr auf die Felder, auch die Leute zum Holzmachen und Holzholen im Wald und die Leute, die zu arbeiten haben außerhalb des Hauses. Der Bürgermeister darf seit gestern Ausweise ausstellen zum Verlassen des Ortes auf eine Entfernung von 25 km, also bis Kronach. Es ist nur gut, dass wir den August Wachter als Bürgermeister haben. Der hat was geleistet in dieser Zeit. Unermüdlich von früh bis in die Nacht. Am meisten Sorge hat uns die Verpflegung gemacht. Vorige Woche hatten die Bäcker nur noch soviel Mehl, um einmal Brot zu backen, also auf etwa drei Tage. Aber dann haben wir doch was hergebracht und jetzt hoffen wir, dass es weitergeht mit der Versorgung wie seither. Wir haben soviele Fremde hier: Franzosen, Ukrainer und Polen. Täglich kamen mehr dazu, andere waren auf der Durchreise. Von den Letzteren kamen an manchen Tagen über 100 und mussten verpflegt werden. Jetzt ist die Frühjahrsbestellung der Felder im vollen Gange, die Kartoffeln sind schon gelegt, das ist viel wert. Eine Henne von uns musste dran glauben. Sie bekam einen Granatsplitter und wir mussten sie schlachten. Unsere Scheune hat es schon ziemlich mitgenommen durch Granatsplitter. Dass Fett-Thomas vor etwa sechs Wochen an den Folgen eines Bombensplitters gestorben ist, habe ich Euch schon geschrieben. Ihr werdet es aber kaum mehr erhalten haben. Die Eltern erfuhren es erst 14 Tage nach seinem Tode, als sie nach Ansbach fuhren. Wenn wir nur wüssten wie es Euch geht. Man hört kein Radio und ist völlig abgeschnitten von der Welt. Es wird gesagt, die Italienfront hätte sich aufgelöst und die Soldaten wären auf dem Weg zur Heimat. Wäre das ein Glück und eine Freude, wenn wir uns alle wieder einmal gesund sehen könnten! Alles andere, was noch kommen mag, wäre dann wohl leichter zu ertragen. Diese Sorge um Euch geht mit uns ins Bett und wacht früh mit uns auf. Euch allen geht es ja sicher ebenso. Das ist das Schwerste jetzt.

Bild I

Heute vor genau vor 75 Jahren verloren hier in diesem Haus an einen Samstagvormittag elf Menschen ihr Leben. Im dahinter liegenden Anwesen hat ein Granatsplitter den dreijährigen Buben der Simon Brüder in den Armen ihrer Mutter am Kopf getroffen und getötet. Foto: Michael Wunder

Bild II

Mit einer neu angeschafften Mahntafel an dem Gebäude in der Neuen Gasse 17 erinnern die Brüder Georg, Johann, Anton und Ludwig Simon an dem 75. Jahrestag des Beschusses. Sie verloren dabei ihren Bruder Anton, der in den Armen ihrer Mutter verstarb. Foto: Michael Wunder