Schlagzeilen:

Nordhalben ist im Freistaat genau so wichtig wie München

von Michael Wunder München/Nordhalben: Von der Radikallösung bis hin zum samten Tourismus, von utopischen Möglichkeiten, aber auch durchwegs machbaren Aktivitäten reichte die Palette der ausgearbeiteten Vorschläge durch die Referendare der TU München. Die Baureferendare präsentierten zum Abschluss ihrer Ausbildung an der TU München die Ergebnisse des interdisziplinären Seminars in der Cafeteria der Pinakothek der Moderne in München. Das von der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern in Auftrag gegebene Projekt, unter der Leitung von Regierungsbaumeister Josef Rott, sah neben den Entwicklungsszenarien für Nordhalben noch die verkehrliche Neuordnung in Laufen und die „Konversion Leighton“ Barracks in Würzburg vor. Stirbt Nordhalben aus? Perspektiven für Nordhalben! Dies waren zunächst die Überlegungen der zukünftigen Regierungsbaumeister, welche bei der Vorstellung immer wieder betonten, das zahlreiche Gemeinden entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze unter der Entwicklung der vergangenen 20 Jahre leiden und Nordhalben keinen Einzelfall darstelle. Der Euphorie der Grenzöffnung folgte schnell die Ernüchterung. Veränderte Förderkulissen und schließende Betriebe führten zum Wegzug der Jungen und Erwerbstätigen. Erheblicher Leerstand in den Ortskernen gehört zum Bild der Gemeinden. Mit der Drohung nach Thüringen zu wechseln, sorgte Nordhalben im vergangenen Jahr für Schlagzeilen. Von oberster Stelle ordnete der heutige Ministerpräsident Günter Beckstein an, dass 25 Nachwuchskräfte der bayerischen und sächsischen Staatsbauverwaltung mit der TU München ein Konzept erarbeiten, um die schweren strukturellen Probleme in den Griff zu bekommen. Zentrales Thema dabei sollte der Umgang mit den leer stehenden Häusern im Ortskern sein. Johanna Stückler und Christian Mews, die im Auftrag der Gruppe die Ergebnisse vorstellten, sagten, dass man an keine 0-8-15 Lösungen ins Auge fasste, sondern bewusst und mutig bis ins Jahr 2032 vorausplante. „Nordhalben ist älter und kleiner als München, darf aber nicht unwichtiger sein“, sagten sie mit Blick auf ein weiteres „Schrumpfen“ der Ortschaft. Sollte sich die bestehende Entwicklung fortsetzten, werde man in 25 Jahren weitere 30 Prozent der Einwohner verlieren, der Immobilenmarkt werde komplett zum erliegen kommen. Die Nachfrage des Grundstücksmarktes werde gegen „Null laufen“, touristische Attraktionen wie die Klöppelschule wird es nicht mehr geben und die finanzielle Talfahrt sei unaufhaltsam. Schnelles Handeln sei deshalb unabdingbar. Die Bandbreite der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Lösungsansätze der Referendare reicht dabei von kompletter Absiedlung bis hin zu innovativen Tourismuskonzepten. Um Synergieeffekte nutzen zu können sollte zunächst in einen ersten Schritt über eine Verwaltungsgemeinschaft mit den Nachbargemeinden, welcher in einen weiteren Schritt auch eine freiwillige Gebietsreform folgen könnte, nachgedacht werden. Beides könne jedoch nur umgesetzt werden, wenn die Bevölkerung den „Anstoß“ gibt. Man könne durchaus die von der Gemeinde vorzuhaltende Infrastruktur auf mehrere Schultern verteilen. Schule, Rathaus, Freibad oder Tourismusbüro sind nur an einem der Standorte vertreten, letzteres habe man im oberen Rodachtal bereits erreicht. Trotz geringer Einwohnerzahlen und finanzieller Mittel wird so die bisherige Lebensqualität ein den Einzelgemeinden gehalten. Eine Projektgruppe setzt auf die Etablierung Nordhalbens als überörtliche Marke in der Kunstszene. Eine örtliche Stiftung wirbt hochkarätige Künstler mit der Aussicht an, in und an den leer stehenden Häusern kostenlos leben und arbeiten zu können. Im ehemals brachen Ortskern entsteht so ein unverwechselbares „Kunst-Werk“. Ein weiterer Vorschlag wäre die Schaffung eines „Ruhepools“ hier biete sich die Chance zur Vermietung an „Teilzeitbürgern“ aus der Wirtschaft – vom Aussteiger über den Doktorranden bis zum Manager mit Burn- out- Syndrom, welche in einer immer schnelllebigeren Welt die Ruhe der Gegend genießt. Auch das „Motiv“ Wasser spiele im Frankenwald eine wesentliche Rolle. Der Aufstau des „Rodachtals“ zu einer weiteren Talsperre mit Freizeitnutzung zählt dabei mehr zu einem „Tagtraum“. Die Baureferendare waren überzeugt, dass der ländliche Raum nicht die Region der Verlierer sei. Die Potentiale liegen vielmehr in seinen scheinbaren Schwächen. Richtig eingesetzt und nicht durch verzweifelte Wachstumsbestrebungen zerstört oder konterkariert sind sie die Basis für die Zukunft. Nordhalben müsse Mut zu Neuen haben, zogen sie zum Abschluss ihrer Vorstellungen ein Fazit. Die erarbeiteten Vorschläge werden nunmehr in den örtlichen Gremien beraten und das weitere Vorgehen abgesprochen. mw


Diskussionsbedarf war nach der Vorstellung des Projekts bei den Beteiligten, v.l. Bürgermeister Josef Daum, die beiden Baureferendare Johanna Stückler und Christian Mews, welche die Entwicklungsszenarien für Nordhalben vorstellten, die zuständige Abteilungsleiterin Petra Gräßel von der Regierung von Oberfranken, Univ. Professor Ferdinand Stracke und Regierungsbaumeister Josef Rott. Foto: Michael Wunder


Scheint ehe als Phantasiegebilde, Nordhalben auf der Insel der Glückseeligen mit eigenen "Unterwasserzuganschluss". Fotomontage: Referendare